Natürlich ist Müdigkeit ein sinnvoller, angenehmer Zustand, der aus körperlicher oder geistiger Anstrengung entsteht.
Wohlig müde und zufrieden nach dem Geleisteten können wir uns nun ausruhen.
Die natürliche wohltuende Müdigkeit, die zur erforderlichen Erholung führt, ist aber ziemlich selten geworden.
In unserer Zeit wird Müdigkeit oft als unangenehm empfunden.
Tatsächlich ist das eine andere, aufgeregte Müdigkeit, die nicht wohltuend wirkt, sondern lähmend und verfolgend.
An dieser Art von Müdigkeit leidet ein erheblicher Teil unserer Bevölkerung.
Da entspricht der Ist-Zustand jedoch nicht dem Soll-Zustand:
In unserer Gesellschaft gilt Müdigkeit als Nachteilfaktor.
In der globalisierten 24- Stunden-7-Tage-Welt sind wir gefordert, ständig hellwach, fit und präsent zu sein, um keine Gelegenheit zu versäumen, um nicht zurück zu fallen.
Müdigkeit kann man sich da nicht leisten.
Um so bedrängender wird sie.
Adäquate (der vorangehenden Anstrengung entsprechende) Müdigkeit ist natürlich und gesund.
Dieser Müdigkeit sollten wir sobald wie möglich nachgeben - und zur Erholung ausreichend lange schlafen.
Unadäquate Müdigkeit (ohne vorherige Anstrengung) ist ein ernst zu nehmender Hinweis auf eine Störung im Organismus oder in der Lebensweise.
Das chronische Müdigkeitssyndrom (englisch: chronic fatigue syndrome, CFS) ist eine Erkrankung, die meist fieberhaft, grippeartig beginnt mit Lymphknotenschwellungen und neurologischer Symptomatik (Kopfschmerzen, leichter Benommenheit, Muskelschmerzen und -schwächen).
Dadurch treten monatelang anhaltende, auch wiederkehrende Phasen von Müdigkeit auf, mit Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwäche, Nachtschweiß, Depressionen, Missempfindungen peripherer Nerven (Parästhesien: Kribbeln, "Ameisenlaufen", Fühlstörungen in umschriebenen Hautarealen), Muskelschwächen.
Als Erreger dieses Syndroms, das manchmal epidemisch bei Menschen mittleren Lebensalters, besonders in geistigen Berufen auftritt, wird das humane Herpes-Virus Typ 6 (HHV 6) angesehen.
Meistens klingt die Symptomatik nach mehreren Monaten spontan ab.
Bei persönlicher Fixierung auf die Symptome kann das Krankheitsbild aber viel länger anhalten.
Auch deshalb wurde das chronische Müdigkeitssyndrom früher als psychogen bzw. als Modekrankheit angesehen.
Derartige Komponenten können beteiligt sein.
Zur somatischen Diagnose (körperlicher Ursachen) des CFS dient die Messung der Immunglobulin M-Antikörpertiter sowie anhaltend erhöhter Immunglobulin G-Antikörpertiter gegen humane Herpesvirus-Typ-6-Viren, im Zweifelsfall auch der Virusnachweis in Lymphzellen.
Differentialdiagnostisch sollte auch an eine Lyme-Borreliose (deren Erreger durch Zecken übertragen werden) oder eine krankhafte Vermehrung von Lymphzellen (B-Lymphoproliferatives Syndrom) gedacht und - hoffentlich! - ausgeschlossen bzw. bestmöglich behandelt werden.
Bei chronischer Müdigkeit ist daher medizinisch kompetente, sorgfältige Diagnostik erforderlich.
Je nach deren Ergebnis kann eine spezifische ärztliche Therapie notwendig sein.
Daneben ist das Unterstützen der Heilung mit Naturstoffen möglich.
Empfehlenswert sind ausreichen dosierte Ginseng-Produkte (Tagesdosis 1,5 Gramm der getrockneten Wurzel als Pulver, in Kapseln oder als Tee - oder als Extrakt mit 20 bis 30 mg Ginsenozien), Kaktusfeigensaft (ca. 40 ml pro Tag), Coenzym Q10 (30 bis 90 mg/Tag) und getrocknete Spirulina-Algen (3 bis 4 g/Tag).
Wichtig ist dazu der Ausgleich eines chronischen Säureüberschusses mit vegetabiler Rohkost (Blatt- und Wurzelsalaten), mit schonend gegartem Gemüse, Pflanzensäften (Löwenzahnsaft, Kartoffelsaft), eventuell auch mit Basenpulver.
Eine häufige Ursache der Tagesmüdigkeit wurde erst vor wenigen Jahrzehnten mit Hilfe spezieller Messgeräte erkannt:
die Atmungsstörung während des Schlafes ("Schlaf-Apnoe").
Bei manchen Menschen (bis zu 10 Prozent bei Männern, etwas weniger häufig bei Frauen) wurden Atmungsunterbrechungen von 10 Sekunden und länger wahrend des Schlafes entdeckt, mit Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut und schädlichen Folgen.
Die Betroffenen selber bemerken das nicht, weil sie gerade dann tief und fest schlafen.
Erst am folgenden Tag wird die Schlafapnoe erkennbar:
durch Morgenmüdigkeit, Reizbarkeit, Leistungsknick, Gedächtnisstörung, Konzentrationsstörung (mit siebenfach erhöhtem Unfallrisiko), Persönlichkeitsveränderung und Depression.
Oft wird da an eine drohende Demenz (Morbus Alzheimer) gedacht, aber seltener an eine schlafbezogene Atmungsstörung.
Manchmal, aber nicht immer, weist lautes, unregelmäßiges Schnarchen auf diese Atmungsstörung hin.
Bei den genannten Symptomen, besonders bei anhaltender Tagesschläfrigkeit, ist zunächst ein ambulantes Screening (Anlegen von Sensoren für Atmung, Sauerstoffsättigung, Blutdruck,
EKG, evtl. auch EEG und Beinbewegung mit Aufzeichnungsgerät) für eine nächtliche Messung zu Hause erforderlich.
Daraufhin kann die weitere Diagnostik (im Schlaflabor) und die notwendige Therapie eingeleitet werden.
Zu den Basismaßnahmen gehört der Abbau von Übergewicht, die Erleichterung freier Atmung in Nase und Rachen, die Behandlung einer eventuellen Schilddrüsenunterfunktion, die Meidung von Alkohol, Rauchen und Schlafmitteln ( ! ) sowie die Überprüfung einer eventuell apnoefördernden Medikation auf Alternativen.
Bei einem Schlafapnoeindex über 20 (mehr als 20 Atempausen pro Stunde), bei hoher Gefährdung, ist die kontinuierliche nächtliche Atemassistenz mit einem CPAP-Gerät unbedingt zu empfehlen.
Den meisten SAS-Patienten geht es damit (nach ein paar Anfangsproblemen) bald sehr viel besser.
Spätfolgen der Schlafapnoe (hoher Blutdruck, auch in den Lungen, Herzrhythmusstörungen, Schäden an Herz und Gehirn) werden wesentlich reduziert.
Selbstverständlich ist es noch günstiger, eine Schlafapnoe vorbeugend zu vermeiden:
mit Einhalten von Normalgewicht; möglichst viel körperlicher Aktivität bei Tag; mit der Einnahme von Ginseng und auch mit dem Meiden von Alkohol und betäubenden Mitteln.
Außerdem hat sich das Trinken einer Tasse grünen Tees (Sencha) vor dem Schlafengehen sehr bewährt.
Danach schläft man tief und fest, wegen langer Arbeitszeiten gewöhnlich nur sechs Stunden (zu wenig, ich weiß), aber anscheinend ohne Schlafapnoe, weil meist ohne Tagesmüdigkeit.
Jedenfalls ist chronische Müdigkeit ein ernst zu nehmendes Symptom, dessen Ursachen sorgfältig geklärt werden sollten.
Neben dem Schlafapnoe-Syndrom, der HHV-6-lnfektion, der Schilddrüsenunterfunktion oder Lymphzellproliferationen ist auch an Leber, Nieren- oder Stoffwechselerkrankungen zu denken, an Mangelerscheinungen (z.B. an Eisen) und auch an chronische Belastungen des Körpers, an persistierende Infektionen oder konsumierende Erkrankungen - und noch weitere.
Die Prüfliste ist lang.
Jedoch lässt sich mit gründlicher Untersuchung bei vielen Betroffenen keine körperliche Ursache ihrer chronischen Müdigkeit feststellen.
Warum sind sie müde?
Vor rund 30 Jahren charakterisierte der Psychologe Herbert Freudenberger ein bis dahin kaum beachtetes Phänomen, das am deutlichsten bei Menschen aus helfenden Berufen (z. B. Krankenschwestern, Ärzten, Psychotherapeuten) sowie bei Müttern und Angehörigen von chronisch Kranken zu erkennen war:
das Burnout-Syndrom, das emotionale Ausgebranntsein, die Erschöpfung aus Mitgefühl (compassion fatigue).
Das Helfen selber macht nicht müde, es kann nicht nur den Hilfsbedürftigen, sondern auch den Helfenden stärken.
Das Ausbrennen, die Erschöpfung geschieht erst bei fehlendem Einfluss auf eigene helfende Arbeit mit dem Gefühl von Ausgeliefertsein und Getriebensein, bei permanenter Anspannung.
Seit diese Ursachen des Burnout-Syndroms erkannt sind, können Sie besser behoben werden.
Das Burnout-Syndrom betrifft aber nicht nur die helfenden Berufe, sondern inzwischen schon eine Mehrheit der Bevölkerung.
Deren Kernproblem ist das Getriebensein.
Wir alle sind getrieben von vielen unnatürlichen Dingen, von modernen Errungenschaften sowie von den Machenschaften der Menschen damit.
Der technische Fortschritt hilft den Menschen mächtig, brennt sie aber auch aus: Sie werden seelisch müde.
Das körperliche Müdesein ist hingegen selten geworden.
In der früher schon privilegierten Gesellschaftsschicht mit relativem Wohlstand und sicherer Versorgung), zu der Johann Wolfgang von Goethe zählte, ist das Treiben - bzw. das Getriebensein - und die seelische Müdigkeit ebenfalls aufgetreten.
In Wandrers Nachtlied (geschrieben 1766 am Hang des Effersbergs an Frau von Stein) hat J. W. von Goethe bekannt:
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all die Qual und Lust.
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!
Seit Goethes Zeiten hat das Treiben -und das Getriebensein - enorm zugenommen.
Das Getriebensein ist das Spiegelbild des Treibers.
Wir wissen nicht, wie weit das noch gehen kann, wie lange die Erde das noch aushält, wie lange wir das selber noch aushalten können.
Die seelische Müdigkeit ist ein Symptom des Getriebenseins.
Wenn dieser Zusammenhang bewusst wird, kann die Lösung beginnen.
Dazu stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß wir von Mitmenschen getrieben werden - und wie weit von uns selber.
Bei bewusstem Hinsehen erweist sich der Eigenanteil am Treiben und Getriebensein manchmal als sehr hoch.
Echte Besserung kann nur erzielen, wer ehrlich zu sich selber ist.
Gewiss können wir äußere Zwänge nicht ignorieren oder einfach abschütteln.
Aber wir können sie ansprechen und begrenzen.
Wir müssen - und können - nicht immer so funktionieren, wie andere das von uns erwarten.
Wenn uns das klar wird, werden wir bald freier vom Getriebensein und vom Treiben sein.
"In allen Zweifelsfällen entscheide man sich für das Richtige", hat der Physiker, Aphoristiker und Philosoph Georg Christoph Lichtenberg empfohlen.
Dieser einfache Rat scheint paradox:
Wenn wir stets wüssten, was richtig ist, hätten wir keine Zweifel mehr.
Im Grunde wissen wir aber, was richtig und wichtig ist:
der innere Frieden, wichtiger als alles Treiben, wichtiger als die Qual und Lust.
In seinem Nachtlied an: Der du von dem Himmel bist, alle Freud und Schmerzen stillest, hat J. W. von Goethe um diesen Frieden gebeten.
Wandrers Nachtlied ist ein intensives, bekennendes Gebet.
Von Jugend an hat der Segensspruch fasziniert:
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft und alles Streben des Menschen, bewahre eure Herzen und Sinne.
Mit diesem Frieden können wir heilsam wirken und erst am Ende unserer Tage ruhig müde sein.