Psychisch Kranke kommen oft im Alltag nicht zurecht. Sie vernachlässigen die Wohnung und sich selbst, sind zerstritten mit Freunden und Familie, haben den Umgang mit anderen verlernt und leben total isoliert. Oft haben sie kein Interesse daran, den Kontakt zu ihrem behandelnden Arzt zu halten und nehmen ihre Medikamente nicht ein. Folge: Die Krankheit verschlimmert sich, und die Betroffenen landen immer wieder in der Psychiatrie.
Viele psychisch Kranke verbringen ein Drittel des Jahres in der Klinik. Und mehr als 80 Prozent der Patienten einer psychiatrischen Station sind Wiederaufnahmen. Um diesen "Drehtüreffekt" zu vermeiden, hat die Bundesregierung ambulante Angebote in den Sozialgesetzbüchern verankert: Die ambulante Soziotherapie, das persönliche Budget und die ambulante psychiatrische Pflege. Nur, leider, hapert es an der Umsetzung.
Aufgabe der Soziotherapeuten ist es vor allem, die Kranken zu motivieren, Hilfen anzunehmen und damit eine Behandlung wieder in Gang zu setzen. Denn häufig fehlt eine Krankheitseinsicht. Die Soziotherapeuten kommen zu dem Betroffenen nach Hause und besprechen auch andere Ziele: Wünscht sich die oder der Kranke wieder eine Partnerschaft oder irgendeine für ihn sinnvolle Beschäftigung? Geht es vielleicht erst einmal darum, die Wohnung zu entmüllen? Als "Fallmanager" nimmt der Soziotherapeut Kontakt zum Arzt auf, zu Verwandten oder Freunden des Patienten, organisiert sonstige soziale, berufliche oder finanzielle Hilfen.
Finanziert wird diese "aufsuchende Hilfe" von den gesetzlichen Krankenkassen, verordnet von den Nervenärzten. Die Verordnungen sind allerdings nur für Menschen mit einer Schizophrenie oder einer schweren Depression vorgesehen und auf 120 Stunden in drei Jahren begrenzt. "Dort, wo die Soziotherapie läuft, bewährt sie sich", berichtet Ulrich Krüger, Geschäftsführer der Aktion Psychisch Kranke in Bonn: "Die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten liegt bei 100 Prozent."
Doch in den meisten Bundesländern - Ausnahmen sind Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg - läuft die Soziotherapie nur langsam an. Ein möglicher Grund: "Die Krankenkassen zögern, weil sie zusätzliche Kosten befürchten", so Klaus-Dieter Dresler, Professor für Sozialpsychiatrie an der Fachhochschule Jena. Dabei zeigte eine von den Kassen selbst in Auftrag gegebene Studie bereits Ende der neunziger Jahre, dass man für einen Euro, den man für die ambulante Soziotherapie ausgibt, mindestens vier Euro an stationären Behandlungskosten sparen kann.
Pflege zu Hause
Auch die ambulante psychiatrische Pflege wird meist von einem Psychiater verordnet (oder auch nicht) und von den Krankenkassen bezahlt. Eine Krankenschwester oder ein Krankenpfleger eines auf Psychiatrie spezialisierten Pflegedienstes sucht den Betroffenen täglich auf. "Wenn zum Beispiel in der Soziotherapie beschlossen wurde, dass der Klient zu einer Verabredung geht, können wir am nächsten Tag besprechen, wie es war", sagt Michael Theune, Fachpfleger für Psychiatrie in Weinsberg, der sich im Bundesverband Ambulante Psychiatrische Pflege (BAPP) e. V. engagiert. Eine kleine Untersuchung von Theune zeigte bei zwölf an Schizophrenie oder bipolar Erkrankten, dass sich die im Krankenhaus verbrachten Tage durch die ambulante psychiatrische Pflege von 60 bis 704 Tage auf null bis 60 Tage reduzierten. Theune: "Bisher wird diese Leistung jedoch kaum verschrieben."
Persönliches Budget
"Stellen Sie sich vor, ein Mensch mit einer schweren Psychose möchte unbedingt mal in die Disco gehen. Kein Wohnheim, kein Pflegedienst wäre in der Lage, den Betroffenen zu begleiten", erzählt Joachim Speicher vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Mainz. Solche Wünsche kann das persönliche Budget unter Umständen erfüllen. Beim Persönlichen Budget wandelt sich der Patient vom Leistungsempfänger zum selbstbestimmten Kunden, der sich seine Hilfeleistungen selbst aussuchen kann. Hierfür bekommt er einen monatlichen Geldbetrag - etwa vom Sozial-, Arbeits- oder Integrationsamt.
Eine maßgeschneiderte Hilfe für Menschen mit seelischen, körperlichen oder geistigen Behinderungen, die sich in Holland, England, Schweden und den USA schon lange bewährt hat. In Deutschland laufen jetzt bis 2007 in 14 Regionen Modellprojekte. Doris Filusch, psychologische Beraterin in Berlin, beseitigt mit ihren Klienten zunächst das Chaos in der Wohnung, gemeinsam kaufen sie ein, kochen, putzen, gehen in den Park. "Jede Tätigkeit kann theoretisch der Schlüssel zu einem lebenswerteren Leben sein, er muss aber in mühsamer Kleinarbeit gefunden werden", so Filusch. Bisher finanzieren sich nur zwei ihrer Klienten über das Persönliche Budget - und die mussten lange auf die Bewilligung warten.
Dabei hat man in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg - beides Vorreiter in Sachen persönliches Budget - gute Erfahrungen gemacht. Speicher: "Keiner von den Teilnehmern kommt zurück ins Heim oder Krankenhaus." "Auch wenn es Anlaufschwierigkeiten gibt, ist es notwendig, für diese Leistungen zu kämpfen", pflichtet der Psychiater Professor Dresler bei. Das gilt auch für die Betroffenen und ihre Angehörigen: Sie sollten einen Psychiater auf diese Maßnahmen ansprechen. Auch in Gemeindepsychiatrischen Zentren, bei so genannten IAV-Stellen (Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstellen) oder bei Wohlfahrtsverbänden zum Beispiel kann man sich informieren.
Informationen:
Zur Soziotherapie:
Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V.,
Am Michaelshof 4b,
53177 Bonn,
Tel. 02 28 / 69 17 59,
E-Mail: dachverband@psychiatrie.de
Bundesweites Beratungstelefon zum persönlichen Budget,
Tel. 01 80/2 21 66 21 zum Ortstarif
(Interessenvertretung Selbstbestimmt leben in Deutschland e. V.)
Allgemeine Infos:
Internet: www.netdoktor.de
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