Erst sanftes Knacken, dann ein saftiges Innenleben, das den Gaumen betört. Schon beim ersten Biss in die Wurst stellt sich die entscheidende Frage: "Hält der Inhalt, was die knackige Wursthaut verspricht?". Leider nicht immer. In puncto Qualität kan es erhebliche Unterschiede geben - nicht nur bei der Knackwurst.
Die Wurst hat bekanntlich zwei Enden. Wann aber nahm sie ihren Anfang? Wahrscheinlich zu der Zeit, als die Menschen begannen, das Fleisch der Tiere als Nahrungsquelle zu nutzen. Vor 2.700 Jahren schrieb die Wurst dann erstmals Geschichte - in Homers Odyssee. Dort ist in wohlgesetzten Hexametern von einem gefüllten Saumagen die Rede.
Warum aber hat der Mensch das Ding mit den zwei Enden überhaupt erfunden? Ganz einfach: Er wollte Fleisch haltbar machen und auch die Teile des Tieres verwerten, die zum Kochen und Braten nicht geeignet waren - in der Fachsprache Zuschnitte genannt. So gesehen ist Wurst nichts anderes als ein Abfallprodukt, das jedoch eine erstaunliche Karriere hingelegt hat. Allein in Deutschland zählt man über 1.500 verschiedene Wurstsorten, eine Auswahl, wie sie es sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Wurst, wohin der Gaumen schmecken kann, vom bayerischen Leberkäse im Süden über die Thüringer Bratwurst hinauf zum westfälischen Wurstebrei.
Der Wurstfreund hat es also nicht ganz einfach, sich im Wurstparadies Deutschland zurechtzufinden. Drei Kategorien bieten einen ersten Überblick. Sie orientieren sich an der Art der Herstellung und teilen Würste in Brüh-, Koch- und Rohwürste ein. Am liebsten beißen die Deutschen in Brühwürste. Bratwurst und Wienerle gehören dazu, Fleischwurst oder Leberkäse, Jagdwurst, aber ebenso Würste mit stückigen Einlagen wie der Bierschinken. Auch die Homer'sche Wurst hätte man vermutlich, wie ihrem modernen nahen Verwandten, dem "Pfälzer Saumagen", den Brühwürsten zugeordnet.
An zweiter Stelle kommen die gekochten Würste wie Leber-, Blut- und Sülzwurst. Die dritte Kategorie, die Rohwürste, sind uns in schnittfester Form bestens als Salami oder Mettwurst bekannt. Zu den streichfähigen Varianten, die auf einem knusprigen Brötchen oder kräftigen Brot gut munden, zählen Tee- oder Mettwurst.
Was ist nun drin in einer Brühwurst?
"Zerkleinertes Fleisch (vom Rind, Schwein oder Geflügel), Trinkwasser (Eis), Salz und Fett", gibt ein Fachbuch Auskunft. Außerdem: Gewürze, je nach Sorte, fast immer Nitritpökelsalz, sehr oft Farbstabilisator und Hilfsmittel zum Kuttern. So nennt man in der Fachsprache das Zerkleinern der Fleischrohwaren. Eine Brühwurst zum Beispiel wird also erst gekuttert, dann gewürzt, in Därme gesteckt, abgebunden und bei 78 °C gebrüht. Wenn die Wurstmasse dann schön fest wird, ist eine Knackwurst fertig, in die man möglichst bald hineinbeißen sollte. Für Kochwürste gart der Metzger die Rohstoffe zuerst vor, zerkleinert sie und füllt sie in die Wursthülle ab. Dann wird alles noch einmal erhitzt. Einige Sorten kommen in den Rauch, damit die Wurst länger hält und einen feinen Rauchgeschmack entwickelt. Kochwürste sollten kalt gegessen werden.
Auch Rohwürste wie Salami munden kalt, in hauchdünne Scheiben geschnitten am besten. Wie der Name schon sagt, werden sie aus rohem Muskelfleisch, Fettgewebe, Gewürzen, Pökelsalz und Zucker gewurstet. Nach dem Kuttern kommt die Masse dann in Hüllen, die den Wasserdampf durchlassen. Denn jetzt beginnt, was den guten Geschmack einer Rohwurst entscheidend beeinflusst: das Reifen. Ein äußerst sensibler Prozess, bei dem die Wurst Wasser abgibt, sich umrötet und ihr Aroma ausbildet.
Zum Beispiel zarte oder kräftige Rauchnoten, je nachdem ob, wie, wo und womit sie geräuchert wird. Bis zu 25 Tage braucht eine Wurst, um hängend ihren Wohlgeschmack zu entfalten. Ein aufwändiger Prozess, bei dem Luftfeuchtigkeit und Luftumwälzung genau stimmen müssen, damit am Ende eine gute Qualität herauskommt. Kurzen Prozess mit der Wurst macht man dagegen beim Schnellreifeverfahren, das es in der konventionellen Industrie seit Ende der 60er Jahre gibt: Nach 48 Stunden ist die Rohwurst fertig - allerdings nur mit Hilfe von Nitrit und des Reifebeschleunigers Glucono-delta-Lacton (GdL).
Wurst ist nicht gleich Wurst
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Eigentlich könnte es uns ja wurst sein, was in die Wurst hineinkommt. Ist es doch in Lehrbüchern niedergeschrieben und in nationalen und EU-Richtlinien geregelt. Da wird genau festgelegt, wie viel Fleisch mindestens und wie viel Fett und Wasser maximal in jeder Sorte mit einer bestimmten Bezeichnung enthalten sein müssen. Außerdem kontrolliert die Lebensmittelüberwachung die Einhaltung der Gesetze. Dennoch ist Wurst nicht gleich Wurst. Zwischen einer frischen Frankfurter von einem guten Metzger und einem Dosenwürstchen können riesige Geschmackswelten liegen.
Woran liegt es? Vielleicht an der "Qualität hinter der Qualität", wie es Karl Ludwig Schweisfurth formuliert. Der Metzger und Bio-Pionier war lange Jahre Chef der Wurst- und Fleischwarenfabrik Herta, die heute zum Nestle-Konzern gehört. Nicht chemische Analyse und Kontrolle sind für Schweisfurth qualitätsentscheidend, sondern die Art, wieder Bauer seine Tiere großgezogen hat, sowie Sorgfalt und Können des Metzgermeisters beim Verarbeiten des Fleisches. Faktoren, die in der konventionellen Wurstindustrie lange Zeit zu wenig beachtet wurden.
"Anfang der 80er Jahre", erinnert sich Schweisfurth, damals noch Herta-Chef, kamen die Tiere nervös und gestresst bei uns an. Manche überstanden die Aufregung des Transportes nicht, sie bekamen Herzinfarkte. Das Fleisch der Tiere war dann weiß und wässrig. Wir bekamen Probleme, gute Schinken und Würste zu machen. Auch heute noch werden Tiere bei uns laut Schweisfurth zu ca. 95 Prozent nach industriellen Methoden in intensiven Systemen "produziert". Das kann schlimmstenfalls bedeuten: schnelle Mast in dunklen, riesigen Ställen, in großen Mengen mit Kraftfutter, vielleicht noch aus dem Ausland und dazu noch genmanipuliert. Und in ebensolchem Stil wird häufig auch geschlachtet. In einem der größten konventionellen Schlachthöfe Europas lassen heutzutage zum Beispiel 80.000 bis 100.000 Schweine pro Woche ihr Leben und verlassen den Ort als Fleischberg, zerlegt, ausgebeint und gekühlt im Transporter in Richtung Wurstfabrik.
Etwas anders läuft es bei dem noch kleinen Kreis, der Bio-Wurst herstellt. Karl Ludwig Schweisfurth kämpft mittlerweile unter ihnen mit seinen Herrmannsdorfer Landwerkstätten an vorderster Front. Ihr Ziel: Klasse statt billige Masse. So achten Bio-Bauern auf eine umweltfreundliche, artgerechte Aufzucht und Fütterung der Tiere, und zwar in einer vernünftigen Größenordnung. Geregelt ist dies in den Vorschriften der Öko-Verordnung oder in den Richtlinien der Anbauverbände. Weite und für die Tiere stressige Wege zur Schlachtbank versucht man zu vermeiden. Karl Breuer, überzeugter Bio-Metzger der Bakenhus Biofleisch GmbH aus Großenkneten bei Bremen, mästet zum Beispiel Rinder und Schweine auf dem eigenen Bio-Hof selbst, bezieht Lamm, Geflügel und Dammwild von entsprechenden Betrieben aus der Region. Geschlachtet wird in einem befreundeten Betrieb in der Nähe, und oft bringt der Bauer sein Tier selbst dorthin.
Das zweite Geheimnis guter Wurstqualität liegt in der Verarbeitung. Schlachtwarmes Fleisch lässt sich wegen seines hohen pH-Wertes von 6,2 bis 6,5 am besten verarbeiten. Außerdem enthalten seine Muskelzellen noch viel ATP (Adenosin-Tri-Phospat), einen energiereichen Stoff, der sich später jedoch mehr und mehr abbaut. Schweisfurth schwört auf die Warmschlachtmethode, bei der seiner Ansicht nach die bei uns üblichen synthetischen Hilfsstoffe überflüssig sind. Besonders geißelt er den Geschmacksverstärker Glutamat. Er wirke wie eine Droge, mache süchtig und betrüge die Geschmacksknospen in unserem Gaumen.
Ökoverbände haben ihn deshalb neben vielen weiteren Zusatz- und Hilfsstoffen von der Liste der erlaubten Substanzen verbannt und sehen die bestehende Verordnung kritisch: "Wenn ein Stoff anscheinend nicht gesundheitsgefährdend ist, darf er rein - ob eine Wurst diesen Stoff überhaupt braucht, spielt dabei keine Rolle. Manche Zusätze erleichtern nur die massenhafte technische Verarbeitung, bieten aber gar keinen Produktvorteil für die Verbraucher", sagt Bioland- Experte Friedhelm von Mering. "Wir dagegen handeln bei Zusatz- und Hilfsstoffen nach dem Prinzip: Was nicht rein muss, muss raus. Oder durch eine Zutat aus ökologischer Erzeugung ersetzt werden: die synthetische und damit potenziell Gentechnik-belastete Ascorbinsäure wird beispielsweise durch die Vitamin-C-reiche Acerolakirsche aus kontrolliert biologischem Anbau ersetzt." Ein Prinzip, von dem besonders Allergiker profitieren, die Stoffe wie z. B. Milchzucker, Milcheiweiß oder Gluten nicht vertragen.
Heiß umstritten ist in der Bio-Branche derzeit das Nitrit. Es ist das Pökelsalz, das der Wurst jene appetitlich rote Farbe schenkt, die das Verbraucherauge so anspricht. Man setzt es ein, damit die Ware nicht so schnell verdirbt und weil es Wurst und Schinken das typische Pökelaroma verleiht. Nitrit ist in der konventionellen Produktion gang und gäbe und in der EG-Öko-Verordnung in reduzierten Mengen erlaubt. Bio-Verbände wie Demeter und Bioland lehnen das Salz dennoch als gesundheitsgefährdenden und technisch nicht notwendigen Zusatzstoff ab. Besonders problematisch wird es, wenn man nitrithaltige Würste erhitzt und sich dann jene Nitrosamine bilden, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein.
Einen neuen Weg geht die Bio-Metzgerei Juffinger aus dem österreichischen Kufstein. Sie setzt ein Verfahren der schwäbischen Firma auropa ein, das den Mechanismen, wie sie im Stickstoffkreislauf der Natur vorkommen, nachempfunden wurde. Statt synthetischen Nitrits werden Gemüseprodukte und Starterkulturen aus natürlichen Quellen verwendet, die das Enzym Nitratreduktase enthalten. Das macht Nitritpökelsalz überflüssig, und der Nitritgehalt kann so um bis zu 95 Prozent gesenkt werden. Die Wurst wird trotzdem schön pökelrot, schmeckt gut und ist fast so natürlich wie einst der Homer'sche Saumagen.
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