Hyperhidrose

Hyperhidrose
Botulinumtoxin

Quellenangaben beider Berichte: 03/2004

© 2001 Wort & Bild Verlag Konradshöhe
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Hyperhidrose
Übermäßiges Schwitzen
Ungefähr ein Prozent der Menschen leidet an übermäßigem Schwitzen - an den Händen, den Füßen, in der Achselhöhle oder am ganzen Körper -, an dem weder eine Krankheit noch körperliche Anstrengung oder psychische Belastung ursächlich beteiligt ist.
Unbehandelt kann die übermäßige Schweißproduktion zu einem seelischen Problem werden.
In letzter Zeit wurden die Behandlungsmethoden für diese an sich harmlose, aber störende Krankheit erheblich erweitert:
einerseits um die medikamentöse Behandlung mit dem Bakteriengift Botulinustoxin, das erfolgreich bei übermäßigem Achselschweiß eingesetzt wird;
andererseits wurden chirurgische Maßnahmen - das Durchtrennen der die Schweißproduktion in Gang setzenden Nervenbahnen - durch die so genannte Knopflochchirurgie wesentlich risikoärmer.
Schwitzen ist ein natürlicher Vorgang und dient vor allem zur Regulation der Körpertemperatur:
Wenn der Schweiß auf der Haut verdunstet, kühlt nicht nur die Haut ab, sondern auch das Innere des Körpers.
Dieser Vorgang wird hauptsächlich bei hohen Außentemperaturen, körperlicher Anstrengung, nach Fieber oder in Stresssituationen in Gang gesetzt, kann aber auch eine Begleiterscheinung von verschiedenen Erkrankungen sein.

Der menschliche Organismus besitzt mehr als zwei Millionen Schweißdrüsen, vor allem an den Handflächen und Fußsohlen, im Gesicht und am Kopf und in den Achselhöhlen.
Sie produzieren bei normalen Außentemperaturen und ohne jede körperliche Anstrengung einen halben Liter Schweiß pro Tag.
Ungefähr ein Prozent der Menschen schwitzt jedoch übermäßig viel - auch wenn es dafür keine Ursache zu geben scheint.

Ursachen
Die Produktion der Schweißdrüsen wird vom vegetativen Nervensystem reguliert.
Es kann willentlich nicht beeinflusst werden und sendet bei entsprechenden Reizen Impulse an die Schweißdrüsen.
Ihren Ursprung haben die dafür zuständigen Nervenfasern des vegetativen Nervensystems in einem Strang von Nervenzellen (Ganglien), die entlang der gesamten Wirbelsäule verlaufen.
Übermäßiges Schwitzen am ganzen Körper kann, abgesehen von der natürlichen Temperaturregulation, bei verschiedenen Krankheiten wie Diabetes, Fettleibigkeit (Adipositas), erhöhtem Blutdruck oder aus hormonellen Gründen, etwa in den Wechseljahren, entstehen (sekundäre Hyperhidrose).
Typisch sind Schweißausbrüche im Gesicht oder auch am ganzen Körper auch für Neurodermitis-Kranke.

Übermäßiges Schwitzen in der Nacht hingegen kann oft ein Zeichen für Tuberkulose oder Alkoholmissbrauch sein.
Warum manche Menschen an bestimmten Körperstellen besonders stark schwitzen, ist noch nicht geklärt.
Wahrscheinlich handelt es sich um eine Störung der die Schweißproduktion regulierenden Ganglien.
Psychische Belastungen können zwar unmittelbare Auslöser von Schweißausbrüchen sein, eine psychiatrische Störung liegt aber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht vor.

Mögliche Folgeerkrankungen
Durch den vermehrten Schweiß kann die Hornhaut an den betroffenen Körperstellen aufweichen;
dadurch können Krankheitserreger leichter in die Haut eindringen, auch Pilze können sich ansiedeln und Hautentzündungen hervorrufen.

Vorbeugung
Eine Vorbeugung ist nur in geringem Maß möglich.
So genannte (Anti-)Transpiranzien sollen verhindern, dass Schweiß an die Oberfläche gelangt.
Das geschieht meist mit Hilfe von Aluminimsalzen, welche die Ausführungsgänge der Schweißdrüsen verengen.
Die allzu häufige Anwendung solcher Mittel kann aber zu Entzündungen an den Schweißdrüsen führen.
Um die Entwicklung von unangenehmem Schweißgeruch zu verhindern, ist sorgfältige Körperpflege wichtig.
Spezialpuder aus der Apotheke saugen für einige Stunden zumindest einen Teil des Schweißes auf.

Früherkennung
Eine Früherkennung ist nicht möglich.
Übermäßige Schweißproduktion zeigt sich jedoch oft schon in der Kindheit.

Beschwerden
Menschen mit gestörter Schweißproduktion schwitzen entweder immer oder in zeitweisen Schweißausbrüchen, auch wenn es keinen erkennbaren Auslöser dafür gibt.
Übermäßige Schweißproduktion kann den ganzen Körper betreffen (generalisierte Hyperhidrosis), meist ist es jedoch auf eine Körperregion beschränkt:
auf das Gesicht oder die Hände, die Füße oder die Achseln.

Die Schweißproduktion ist dann zuweilen so stark, dass die Socken durchweicht sind, der Schweiß in Rinnsalen von der Stirn tropft, sich nasse Flecken unter den Achseln zeigen und Papier, das der Betroffene in die Hand nimmt, sich wellt.
Menschen, die in den Achselhöhlen übermäßig schwitzen, haben oft auch schlechten Körpergeruch, da einerseits in den Achselhöhlen auch Duftdrüsen sitzen, andererseits der Schweiß von Bakterien zersetzt wird und dann einen üblen Geruch verströmt.

Diagnose
Die Diagnose stellt der Hautarzt anhand eines ausführlichen Gesprächs mit dem Betroffenen (Anamnese).
Wichtig ist, dass der Arzt gegebenenfalls auch über andere bestehende Symptome informiert wird:
Sie können Zeichen dafür sein, dass dem übermäßigen Schwitzen doch eine Krankheit zu Grunde liegt, die mit entsprechenden Diagnoseverfahren abgeklärt und behandelt werden muss.

Behandlung
Die Behandlung von übermäßigem Schwitzen am ganzen Körper kann sich ziemlich schwierig gestalten, denn es gibt keine Arzneimittel, welche die Schweißproduktion ohne Nebenwirkungen vermindern.
Anticholinergika - das sind Mittel, welche die Erregungsübertragung an den Nervenenden hemmen und in anderer Zusammensetzung etwa gegen die Parkinsonsche Krankheit eingesetzt werden - können zwar auch die an der Schweißproduktion beteiligten Ganglien blockieren, haben jedoch starke Nebenwirkungen wie Blutdruckabfall, Depressionen und Bewegungsstörungen.

Abgesehen von (Anti-)Transpiranzien mit Aluminiumsalzen zur Vorbeugung von Achselschweiß gibt es zur Behandlung von lokalisierter Schweißüberproduktion physikalische, medikamentöse und chirurgische Therapiemöglichkeiten, die je nach Stärke der Symptome und betroffener Körperregion eingesetzt werden.

Heilungschancen
Die physikalische Therapie bringt die besten Ergebnisse bei übermäßigem Schwitzen der Hände und Füße.

Die medikamentöse Behandlung ist bei Achselhöhlenschweiß angezeigt, die Wirkung hält allerdings nur ungefähr ein halbes Jahr an.

Chirurgische Maßnahmen haben sich bei Achselhöhlenschweiß bzw. bei Hand- oder Gesichtsschweiß bewährt.

Physikalische Therapie
Die Reizstromtherapie ist zur Zeit die am häufigsten eingesetzte und wirkungsvollste Behandlung von übermäßigem Hand- oder Fußschweiß.
Hände bzw. Füße werden für ca. 30 Minuten in ein Wasserbad getaucht, durch das Strom geleitet wird (Iontophorese).
Zu Anfang sind drei Sitzungen pro Woche nötig;
hat sich die Schweißproduktion verringert, genügt zur Stabilisierung meist eine Behandlung pro Woche.
Begonnen sollte die Therapie in einer dafür eingerichteten dermatologischen Abteilung eines Krankenhauses werden.
Später kann die Behandlung mit einem entsprechenden Gerät zu Hause fortgesetzt werden.

Medikamentöse Behandlung
Die medikamentöse Behandlung mit Botulinustoxin beginnt sich immer mehr durchzusetzen.
Dieses Bakteriengift, das in der Augenheilkunde schon seit längerem zur Therapie von Schielen eingesetzt wird, verhindert die Übertragung des Nervenimpulses:
Die Schweißdrüsen bekommen kein Signal zur Schweißproduktion.
Die Substanz wird in starker Verdünnung direkt unter die Haut gespritzt - überall dort, wo die Schweißdrüsen zu aktiv sind.

Die medikamentöse Behandlung mit Botulinustoxin beginnt sich immer mehr durchzusetzen.
Dieses Bakteriengift, das in der Augenheilkunde schon seit längerem zur Therapie von Schielen eingesetzt wird, verhindert die Übertragung des Nervenimpulses:
Die Schweißdrüsen bekommen kein Signal zur Schweißproduktion.
Die Substanz wird in starker Verdünnung direkt unter die Haut gespritzt - überall dort, wo die Schweißdrüsen zu aktiv sind.
Da damit auch die Reizübertragung auf die entsprechenden Muskeln unterbunden werden kann, wird bei Anwendung an den Händen bzw. im Gesicht auch die Feinmotorik bzw. die Mimik gestört.

Deshalb kommt diese Methode vor allem bei Achselhöhlenschweiß in Frage.
Botulinustoxin wirkt nur ungefähr ein halbes Jahr, danach muss die Behandlung wiederholt werden.
Laut Statistik sprechen an die zehn Prozent der Patienten nicht auf Botulinustoxin an, weil ihr Immunsystem offenbar Antikörper gegen das Gift bildet.

Pflanzliche Wirkstoffe
Salbei gilt als schweißhemmend.
Zwar fehlt bisher ein wissenschaftlicher Nachweis, viele Patienten berichten aber, dass das Trinken von täglich zwei bis drei Tassen frischem Salbeitee die Schweißproduktion verringert.

Chirurgische Maßnahmen
In schweren Fällen ist bei starkem Achselhöhlen-, Gesichts- oder Handschweiß die operative Durchtrennung der die Schweißproduktion steuernden Nervenbahnen (Sympathektomie) möglich.
Hier ist in den letzten Jahren allerdings eine Verlagerung von der operativen zur medikamentösen Behandlung erfolgt:
Operationen gelten heute fast als überholt.
Vor einem solchen Eingriff ist es jedenfalls sinnvoll, die Meinung eines zweite Experten einzuholen.

Während die Sympathektomie früher riskant war, ist die Belastung für den Patienten heute durch die endoskopische Operationstechnik bei weitem geringer:
Es muss nicht mehr der gesamte Brustraum eröffnet werden, um an die Ganglien zu kommen, sondern es genügt ein ca. ein Zentimeter langer Einschnitt in der Achselhöhle, durch den die Operationsinstrumente und eine kleine Kamera eingeführt werden;
das Operationsfeld ist auf einem angeschlossenen Monitor sichtbar.

Zum leichteren Vorschieben der Instrumente wird der Brustraum zuerst mit Kohlendioxid angefüllt.
Dann werden die Nervenganglien mit Hilfe einer Elektrode durchtrennt;
das Kohlendioxid wird anschließend wieder abgeleitet und der Einschnitt mit selbst auflöslichem Nahtmaterial verschlossen.

Die Wahl der Betäubung
Der Eingriff erfolgt für gewöhnlich in Vollnarkose.
Eine gut durchgeführte Schmerzbehandlung während und nach der Operation verringert die Beschwerden beträchtlich.

Risiken und Komplikationen
Wird während des Eingriffs das Ganglion stellatum verletzt, der oberste Nervenknoten des vegetativen Nervenstrangs, kann es zum so genannten Horner Syndrom kommen - einer bleibenden Muskellähmung einer Gesichtshälfte mit herabhängendem Oberlid.

Nach der Operation
Zur besseren Überwachung des Patienten ist bei komplikationslosem Verlauf ein Krankenhausaufenthalt von einem Tag ausreichend.
Nachuntersuchungen sind für gewöhnlich nicht nötig.

Leben mit der Krankheit
Gut luftdurchlässige Kleidung aus natürlichen Fasern verhindert einen Schweißstau;
wichtig ist auch leichtes Schuhwerk - Joggingschuhe aus synthetischem Material sollten bei starkem Fußschweiß lieber nicht getragen werden.
Deodoranzien töten Bakterien ab, die den Schweiß zersetzen - Schweißgeruch kann dadurch gar nicht erst entstehen.
Zu beachten ist jedoch, dass diese Substanzen die natürliche Keimflora zerstören, was zu Hautreizungen führen kann.
Bei übermäßigem Schwitzen in den Achselhöhlen hilft auch eine Rasur der Achselhaare, Schweißgeruch zu vermeiden, da sich dort oft geruchsverursachende Bakterien ansammeln.

Psychologische Betreuung
Viel schlimmer als die möglichen Folgeerkrankungen von übermäßigem Schwitzen ist die damit verbundene psychische Belastung.
Menschen, die stark an den Händen schwitzen, vermeiden es, anderen die Hand zu schütteln;
sie fürchten, dass man sich über sie lustig macht und sie als gehemmt ansieht - wer in den Händen schwitzt, gilt als nervös, schüchtern und überfordert.
Die Betroffenen ziehen sich dann nicht selten aus der Gesellschaft zurück; Depressionen können eine Folge sein.

Zwar hat sich in verschiedenen Untersuchungen gezeigt, dass eine Psychotherapie nicht dabei helfen kann, die Schweißproduktion zu verringern - selbst wenn diese vor allem in psychischen Belastungssituationen auftritt.
Sinnvoll ist psychologische Betreuung aber, wenn die vermehrte Schweißproduktion die eigentliche Ursache von sozialen Ängsten (Sozialphobie) und gesellschaftlicher Isolation ist.
Diese Informationen können den Besuch beim Arzt nicht ersetzen.

Eine Diagnose und die individuell richtige Behandlung kann nur im persönlichen Gespräch zwischen Arzt und Patient festgelegt werden.
Aber diese Informationen können Ihnen helfen, sich auf das Gespräch mit dem Arzt vorzubereiten und Ihnen ergänzende Hinweise liefern.






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Neue Einsatzgebiete für Botulinumtoxin
Beinahe ein Alleskönner:

Botulinumtoxin wird in der Medizin gegen unwillkürliche Bewegungen, Fehlhaltungen und Muskelverspannungen eingesetzt.
Aber damit ist die Heilwirkung des Bakteriengiftes noch lange nicht ausgereizt.
Trotz der vielen Anwendungsgebiete sind die Mittel bislang nur für die wenigsten Indikationen offiziell zugelassen.
Ein Grund dafür, sagt der Wiesbadener Neurologe Wolfgang Jost, seien wirtschaftliche Überlegungen:
Bei oft relativ kleinen Fallzahlen lohne sich eine teures Zulassungsverfahren für die Hersteller nicht.
Die Ärzte seien aber klar auf der sicheren Seite, denn die Studienlage sei bei vielen Indikationen sehr gut, die Wirksamkeit somit erwiesen.
Das gilt seit kurzem auch für das von Ärzten "Hyperhidrose" genannte übermäßige Schwitzen, von dem bis zu fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sind.

Injektionen des Giftes helfen gegen starkes Schwitzen
Ursache ist ein Zuviel des Botenstoffs Acetylcholin, den das vegetative Nervensystem an die Schweißdrüsen in der Haut ausschüttet.
Die Betroffenen produzieren unter Umständen in der Achselhöhle bis zu einen Milliliter Schweiß pro Minute - normal wäre höchstens ein Zwanzigstel dieser Menge.
Schlägt eine Behandlung mit Metallsalzen nicht an, greifen Dermatologen heute in der Regel zum Botulinumtoxin.

Wirkung gegen Kopfschmerzen "zufällig" entdeckt
In der Kosmetik glätten Mediziner tiefe Mimikfalten durch Einspritzen des Giftes.
Ganz beiläufig kamen die Ärzte ausgerechnet bei dieser Anwendung auf die Spur eines besonders wichtigen Einsatzgebietes:
Manche Klienten, die wegen ihrer Falten zur Behandlung kamen, hatten plötzlich auch seltener Kopfschmerzen.
Allein am chronischen Spannungskopfschmerz leiden hierzulande mindestens 2,4 Millionen Menschen.

Psychische Probleme, Stress und Angst, aber auch nervliche Fehlfunktionen führen zur Verspannung von Kopf- und Nackenmuskeln.
"Die meisten Schmerzmittel werden gegen diesen Kopfschmerz eingenommen", sagt Professor Hartmut Göbel, Direktor der Schmerzklinik Kiel.
Er und andere Experten setzen bei solchen Patienten seit kurzem mit großem Erfolg das Botulinumtoxin ein.

Hoffnung auch für Migränepatienten?
Sie durchbrechen damit den Teufelskreis aus Muskelanspannung, Entstehen von Kopfschmerzen und noch mehr Anspannung als Reaktion darauf, sagt Prof. Göbel.
Die Ärzte spritzen das Toxin in so genannte Trigger Points - besonders verhärtete Stellen in der Kopf- und Nackenmuskulatur.
Doch Göbel traut dem Gift noch mehr zu:
"Es hat offenbar schmerzbremsende Effekte, die unabhängig von seiner Wirkung auf den Muskeltonus sind."
Es gebe Hinweise, dass Botulinumtoxin in Rückenmark und Hirn zusätzlich die Freisetzung von Schmerz-Mediatoren (z.B. die Substanz P) blockieren könnte.
Darum wird das Toxin an vielen deutschen Kliniken und Praxen nicht nur bei Spannungskopfschmerz, sondern auch bei Migräne erprobt.

Göbel setzt es darüber hinaus auch beim Cluster-Kopfschmerz ein, hinter dem mögicherweise Entzündungsprozesse im Gehirn stecken.
Wolfgang Jost ist jedoch skeptisch, ob diese entzündungshemmenden Wirkungen auch klinisch relevant sind.
Bislang gingen Forscher nämlich davon aus, dass Botulinumtoxin nicht durch die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn vordringen kann.

Weitere Anwendungsgebiete sind sehr wahrscheinlich
Eine größere Rolle des Bakteriengiftes in der Schmerztherapie sieht aber auch Jost voraus:
"Fast automatisch verkrampft jeder als Reaktion auf Schmerzen die Muskeln um eine Wunde.
Indem ich das vorübergehend unterbinde, fördereich generell jede Wundheilung."
Schon heute ist das Toxin wichtig bei der Behandlung von Analfissuren, schmerzhaften kleinen Einrissen im Darmausgang.
Jost glaubt, dass es bald auch vor Operationen häufiger eine Spritze Toxin geben dürfte.
Um die weitere Karriere des Stoffes ist ihm nicht bange:
"Heute vergeht kein Jahr, ohne das nicht irgendein weiteres Anwendungsgebiet dazukommt."

SUPER-GIFT
Botulinumtoxin macht Karriere in der Medizin

Was als Ursache tödlicher Lebensmittel-Vergiftungen gefürchtet ist, wird neuerdings immer häufiger als Medikament eingesetzt:
Botulinumtoxin entspannt verkrampfte Muskeln aller Art und wirkt gegen übermäßige Schweißsekretion und bestimmte Kopfschmerzen.
Botulinumtoxin gilt als das stärkste natürliche Gift.
Umso erstaunlicher, dass es in der Medizin in den letzten Jahren unentbehrlich geworden ist:
Über 50 Anwendungen gibt es heute für das Gift des Bakteriums Clostridium botulinum:
Es hilft nicht nur bei unwillkürlichen Muskelbewegungen wie dem Lidkrampf (Blepharospasmus).
Ärzte verwenden den Stoff auch, um übermäßiges Schwitzen zu lindern oder um Falten zu glätten.
Momentan wird die Wirkung gegen Kopfschmerz erprobt.

Erste Wahl gegen falsche Muskelanspannung
"Bei fokalen (auf bestimmte Körperregionen begrenzte) Dystonien ist die Behandlung mit dem Botulinumtoxin heute erste Wahl", sagt der Neurologe Wolfgang Jost von der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden.
Unter dem Begriff "Dystonien" bündeln Ärzte eine ganze Gruppe erst ansatzweise verstandener neurologischer Leiden, bei denen es permanent zu falschen Muskelanspannungen kommt.
Die mit Abstand häufigste Dystonie ist der Schiefhals (Torticollis):
Der Kopf wird permanent entweder auf die Seite, nach vorne oder hinten gezogen.
Zu den Dystonien zählt auch der Lidkrampf sowie der Schreibkrampf, bei dem die Hand den Stift nach einigen Buchstaben umkrampft.
Es gibt auch Fehlhaltungen einer ganzen Körperhälfte oder falsch gespannte Stimmlippen, die jemanden nur noch krächzend sprechen lassen.

Präzise gesetzte Injektionen lähmen Muskeln
Mindestens 80.000 Dystonie-Patienten leben schätzungsweise in Deutschland.
Der Arzt spritzt ihnen das Toxin fachkundig in die jeweils falsch gespannten Muskeln.
Die lokal begrenzte Lähmung kann unwillkürliche Muskelkontraktionen und Bewegungen korrigieren - zumindest vorübergehend:
Die Behandlung ist rein symptomatisch, nach drei bis vier Monaten erlischt der Effekt.
Der Patient muss sich das Botulinumtoxin zeitlebens in regelmäßigen Abständen spritzen lassen.

Fehlerhafte Signale aus dem Gehirn
Gute Dienste leistet der Stoff auch bei der Behandlung spastischer Bewegungsstörungen.
"Deren Kennzeichen ist, dass die Spannung einzelner Muskeln fälschlicherweise bewegungsabhängig zunimmt", erklärt Dr. Florian Heinen, Chefarzt der Klinik für Kinderheilkunde und Jugendmedizin in Duisburg-Wedel.
"Unter Umständen kann jemand Bewegungen ganz langsam ausführen, wenn es aber in gewohntem Tempo gehen soll, klappt es nicht mehr."
Verantwortlich dafür sind fehlerhafte Signale aus dem Gehirn, verursacht etwa durch Schlaganfälle, Durchblutungsstörungen während der Embryonal-Entwicklung oder kurz vor und während der Geburt.

Bakteriengift gegen Laufstörungen bei Kindern
"Eine relativ häufige Form spastischer Bewegungsstörungen bei Kindern ist der spastische Spreizfuß", sagt Heinen.
Dabei ist der Muskel, der den Fuß nach unten drückt, überaktiv.
Die Betroffenen können meist nur noch wie auf Zehenspitzen laufen.
Bei Kindern schmälert das zusätzlich die Aussichten, überhaupt laufen zu können:
Bis zum Alter von sechs Jahren lernen sie die für das Gehen entscheidenden Bewegungen.
"Danach", so Heinen, "schließt sich dieses Fenster."
Neben Krankengymnastik ist heute Botulinumtoxin ein wichtiger Teil der Behandlung.
"Blockierte Muskeln können wir durch das Toxin so weit lockern, dass die Kinder Bewegungsübungen besser ausführen", erklärt Heinen die Methode, die er selbst in Deutschland etabliert hat.
Rund 200 Kinder kann er pro Jahr behandeln, die Warteliste ist lang.
Hierzulande mangelt es an Spezialisten.

BOTULINUMTOXIN
Vom Gift zum Heilmittel

Verursacher von tödlichen Lebensmittelvergiftungen oder Heilbringer in der Medizin:
Das Wirkungsspektrum von Botulinumtoxin ist sehr breit gefächert.
Wie so häufig ist es eine Frage der Dosierung, ob das Bakteriengift Verderben oder Heil bringt.
Die Eiweißverbindung Botulinumtoxin gilt als das stärkste Gift in der Natur.
Theoretisch reicht ein Gramm des gereinigten Toxins aus, um viele Tausende Menschen zu töten.
Produzenten des Supergifts sind Bakterien der Art Clostridium botulinum.
Diese vermehren sich unter Sauerstoffabschluss und kommen in geringen Mengen in Boden, Staub oder Gewässersedimenten vor.

Botulismus: Die Gefahr ist fast völlig eingedämmt
Das Dilemma:
Auch in schlecht sterilisierten Lebensmitteln wie Wurstwaren oder Konservendosen können die Bakteiren leben.
Die Folge bei Verzehr:
eine Lebensmittelvergiftung, genannt Botulismus.

Ein bis drei Tage nach Aufnahme des Gifts kommt es zu Übelkeit, Erbrechen, zunehmender Lähmung der Atemmuskulatur, Sehstörungen und schlimmstenfalls zum Tod.
Seit in der Lebensmittelindustrie Dampfdruckverfahren Standard sind, die auch die hartnäckigen Sporen der Bakterien abtöten, kommt es hierzulande nur noch sehr selten zu Botulismus.
Im Jahr 1999 waren es 19 Fälle, zwei davon endeten mit dem Tod.
Das Gift stammte unter anderem aus Räucherfisch und selbst gemachter Wurst.

Das neue Heilmittel kam aus der B-Waffenforschung
Die medizinische Anwendung der Substanz geht auf den US-Augenarzt Alan Scott zurück, der 1981 erstmals Schielen (Strabismus) damit zu behandeln versuchte.
Scotts neue Medizin war ein Kind der militärischen Forschung.
Seit dem Zweiten Weltkrieg untersuchte die US-Army die Gifte der Clostridium-Bakterien in den Hochsicherheitslabors von Fort Detrick in Maryland, dem Zentrum für die Erforschung biologischer Kampfstoffe.
Angeblich geschah dies aus Furcht vor einem feindlichen Einsatz des Bio-Giftes.

Diese Angst ist nicht ganz unbegründet:
Obwohl B-Waffen seit 1972 durch eine internationale Konvention geächtet sind, basteln einige Staaten und Terroristen nach wie vor an biologischen Kampfstoffen.
Der Irak räumte beispielsweise gegenüber UN-Inspektoren nach dem Golfkrieg von 1991 ein, 19.000 Liter konzentrierten Botulinumtoxins produziert und in Waffen gefüllt zu haben.

Minimale Mengen des Giftes kommen zum Einsatz
Die US-Arzneimittelbehörde FDA gab 1989 grünes Licht für den friedfertigen klinischen Einsatz des Giftes.
Eine kleine Beruhigung für Besorgte:
Mit dem, was in den Laborgläsern der zivilen Forscher schwimmt, wäre ein Terrorist nicht glücklich:
Die klinisch wirksamen Mengen betragen nur Bruchteile dessen, was einem Menschen gefährlich werden kann.

ARZNEIMITTEL-FORSCHUNG
Heilen mit Krankmachern

Viele Bakterien können krank machen - viele aber auch therapeutisch interessante Substanzen produzieren.
Forscher in aller Welt arbeiten daran, Wirkstoffe von Bakterien für den Einsatz in Medikamenten fit zu machen.
Bakterien haben einen schlechten Ruf.
Die meisten Menschen sehen in ihnen nur Verursacher von Krankheit, Siechtum und Tod.
Dabei spielen Wirkstoffe, die aus Bakterien gewonnen werden, seit langem schon eine wichtige Rolle im Kampf gegen Krankheiten:
Streptokinase etwa dient der Akuttherapie des Herzinfarkts, Actinomycine hemmen das Wachstum von Krebszellen.
Das Antibiotikum Streptomycin bekämpft den Erreger der Tuberkulose.

Bakterien verteidigen sich mit Giften
Die hohe Wirksamkeit der Substanzen beruht auf der Biologie der Bakterien:
Weil sie keine harte Schale haben, die sie schützt, verteidigen sie sich mit giftigen Substanzen.
So schädigen oder töten sie ihre Feinde und Konkurrenten.
Dieses chemische Waffenarsenal haben viele Forscher auf der Suche nach neuen Arzneimitteln als ideale Fundgrube entdeckt.


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